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Zündstoff Paro: Neue Ansatzpunkte in der Praxis

Interview mit Dr. Konstantin Kross, Research Fellow in Harvard und Parodontologe im AllDent Zahnzentrum München Ost

Wofür unsere Praxis steht? Für gebündelte Kompetenzen unter einem Dach! Hier ein Interview mit Dr. Konstantin Kross, Research Fellow in Harvard und Parodontologe. Was Paro so an Zündstoff bietet...

Was die neue GKV-Strecke für Aufklärung und Prävention bedeuten kann - Warum einfache Erklärungen nicht weiterhelfen

Nie war mehr Parodontitis in der zahnmedizinischen Öffentlichkeit als aktuell. Gut so, denn die chronische Entzündung des Zahnhalteapparats hat Karies bereits seit längerem als Volkskrankheit Nummer 1 abgelöst und bildet das Hauptrisiko für Zahnverlust. Rund zehn Millionen Deutsche über 25 sind betroffen. Viele wissen gar nichts davon, weil sich die Erkrankung schleichend, meist ohne Schmerzen entwickelt und unbemerkt den Kieferknochen zerstört. Nicht umsonst stand im vergangenen Jahr der Tag der Zahngesundheit unter dem doppeldeutigen Hashtag #Zündstoff. Vordergründig bezieht sich der Begriff auf die von Patienten oftmals unterschätzte Entzündung. Viel mehr Zündstoff bergen allerdings die Folgen der Diagnose für den ganzen Organismus. Dazu kommen Wechselwirkungen mit allgemeinmedizinischen Erkrankungen wie Diabetes und Herz- Kreislauferkrankungen. Überfällig war die Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse – seit 2021 realisiert in der S3-Leitlinie und einer neuen Behandlungsstrecke für gesetzlich Versicherte. Im Fokus stehen Früherkennung, Aufklärung und Prävention. Ein Gespräch über Herausforderungen für Mediziner und Patienten mit Dr. Konstantin Kross, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Harvard School of Dental Medicine und Parodontologe bei AllDent.

Worin liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen von Parodontitis als neuer Volkskrankheit?

Die ehemalige Bezeichnung Parodontose (degenerativer Rückgang des Zahnhalteapparats) weist darauf hin, dass man die Krankheit früher als reine Alterserscheinung einstufte. Die Volkskrankheit Parodontitis stellt aufgrund der hohen Prävalenz eine Herausforderung für die Gesundheit der Menschen aber auch fürs Gesundheitssystem dar. Die aktuellsten derzeit verfügbaren Zahlen der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V, 2015) zeigen, dass bereits bei den jungen Erwachsenen zwischen 35 bis 44 der Anteil von CPI-Code 3 (mit Taschentiefen von mindestens vier Millimetern) bei 48,3 Prozent liegt! Über zehn Prozent weisen bereits schwere Symptome bei Taschentiefen von mindestens sechs Millimetern (CPI 4) auf. Mehr als die Hälfte der Senioren zwischen 65 und 74 Jahren leiden an moderaten (CPI 3), fast ein Viertel an schweren Parodontalerkrankungen1. Es gibt dokumentierte Wechselwirkungen mit anderen Volkskrankheiten; etwa Herz-Kreislauf- und weiteren systemischen Erkrankungen. Am besten belegt sind die schädlichen Effekte bei Diabetes. Parodontitis hat erhebliche Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit, ist derzeit der häufigste Grund für Zahnverluste und Kaufunktionsstörungen. Das alles kann man als Auswirkungen mangelnder Mundhygiene, einer alternden Gesellschaft und oft ungesunden Lebensstils interpretieren. Aber die konkreten Ursachen dieser hohen Zahlen sind schwer zu fassen.

Einfache Erklärungen helfen also nicht weiter?

So ist es. Parodontitis ist eine chronische, dabei multifaktorielle entzündliche Erkrankung, die den Zahnhalteapparat kontinuierlich zerstört. Anzeichen sind parodontale Taschen und Zahnfleischbluten. Entscheidend ist der klinische Attachmentverlust (CAL) und der Abbau von Alveolarknochen. Nur die Anwesenheit des mikrobiellen Biofilms ist wohl nicht alleiniger Auslöser. Entscheidend ist vielmehr die Wechselwirkung zwischen dem Biofilm und der individuellen Immunreaktion unseres Körpers. Eine Störung der Balance, eine Dysbiose im Biofilm führt zu einer verstärkten Entzündungsreaktion, wobei als Folge davon Gewebeschäden entstehen.2 Das wiederum führt zu einer signifikanten systemischen Inflammation. Aller Wahrscheinlichkeit nach spielt dies zumindest bei der Pathophysiologie von Diabetes, Schwangerschaftskomplikationen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle.3 Es werden aber auch Zusammenhänge mit Covid-19 4,5und Krebserkrankungen vermutet.6

Was heißt das aus Ihrer Sicht für die Zahnmediziner?

Die hohen Parodontitis-Zahlen bilden brandaktuelle soziale und gesundheitspolitische Herausforderungen ab. Denn die Behandlung führt zu ganz erheblichen Kosten für den Einzelnen und die Solidargemeinschaft. Ich selber bin ausgebildeter DG PARO-Spezialist, unter anderem mit viereinhalb Jahren Praxis in der Fachabteilung für Parodontologie an der Universitätszahnklinik in Giessen. Für mich ist es entscheidend, Wissen und Kenntnisse in Zusammenhang mit meinem Spezialgebiet immer auf dem neuesten Stand zu halten. Ein Vorteil der Arbeit in einer großen Einheit wie AllDent: Wird eine Prodontitis diagnostiziert, können unsere Zahnärzte eng und unkompliziert mit den spezialisierten Kollegen zusammenarbeiten. Eine systematische Parodontitistherapie ist für mich Kernstück des Behandlungserfolgs, strikt nach der neuen Klassifikation und dem Stufentherapiekonzept.

Was bedeutet in Ihren Augen die Neuausrichtung der aktuellen Behandlungsstrecke zur PA-Therapie?

Mit dem Stufenkonzept der neuen Leitlinie kann man jetzt einen Patienten auf dem ho?chsten derzeit verfu?gbaren Evidenzniveau behandeln – sehr strukturiert und planma?ßig! Erstmals liegt ein Behandlungskonzept für die ganze Therapiestrecke vor. Das stufenweise Therapiekonzept enthält immerhin 62 klinische Schlüsselempfehlungen für alle Schweregrade und Therapiephasen. Bisherige Inkonsistenzen wurden beseitigt. Behandlungsrisiken lassen sich durch die Kombination von Klassifikationssystem und Leitlinie besser einschätzen. Aufklärung und Beratung der Patienten bekommen dankenswerterweise ein größeres Gewicht. Das Ziel im ATG (Aufklärungs- und Therapiegespräch) ist die Kontrolle von Risikofaktoren durch eine Verhaltensänderung. Faktoren wie Dysbiosen oder die individuelle Immunreaktion lassen sich schwer beeinflussen. Daher legt man den Schwerpunkt auf die Reduktion von supragingivalem dentalem Biofilm und kalzifizierten Ablagerungen. Mittlerweile spricht man schon nicht mehr von „professioneller Zahnreinigung“, sondern von „professioneller mechanischer Plaquereduktion“ (PMPR) als entscheidender Komponente in Prävention und Therapie. Im Weiteren geht es natürlich um die „patientenindividuellen Mundhygiene-Unterweisung“ (MHU), welche die Motivation zu eigenverantwortlichem Handeln, präventiv oder im Rahmen der Therapie stärken soll.

Was sollten Patienten über parodontale Erkrankungen wissen?

Parodontitis gehört weltweit zu den häufigsten chronischen Erkrankungen, kann Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit haben und zum Verlust von Zähnen führen. Das Problem ist, dass die Erkrankung meist nicht schmerzt und daher oftmals erst in einem weit fortgeschrittenen Stadium erkannt wird. Die Patienten sollten also Warnsignale erkennen und so früh wie möglich einen Spezialisten aufsuchen. Die gute Nachricht ist und das sollte man auch vermitteln: Gingivitis und Parodontitis sind vermeidbar, behandelbar und können mit systematischer Therapie gestoppt werden. Aber es ist wichtig, routinemäßig Präventionsstrategien anzuwenden.7  Im Klartext heißt das: Gezielte Entfernung von Biofilm durch häusliche Mundhygiene. Dazu gehört neben dem Zähneputzen auch die Reinigung der Zahnzwischenräume – wenn möglich immer mit Zahnzwischenraum-Bürstchen, ansonsten mit Zahnseide. Meine Kollegen und ich legen Wert auf gezielte Aufklärung und die Wahl von geeigneten Mundhygienenmitteln. Denn anstatt bestimmte Techniken zu trainieren, ist es oft hilfreicher, eine individuell passende Systematik zu finden. Schließlich gehört es auch zur Gesundheitskompetenz, den langfristigen Prophylaxe-Gedanken zu verankern. Eine regelmäßige, professionelle Reinigung schwer zugänglicher Stellen trägt dazu bei, die Mundhygiene zu Hause zu vereinfachen.

Was ist für Sie der Schlüssel zur aktuellen PA-Behandlung?

Für mich gibt es mehrere Kernelemente. Einmal ist das die gezielte Befunderhebung (BEV), weil dadurch eine Verlaufskontrolle anhand aussagekräftiger Parameter möglich wird. Zwar sind für die Eingangsbefundung lediglich zwei Messpunkte für die Sondierungstiefen (PSI) gefordert. Allerdings macht es keine große Mühe, routinemäßig sechs Messpunkte rund um den Zahn zu erheben. Der Ausgangsstatus ist genauer dokumentiert, Ergebnisse und Behandlungserfolg werden deutlicher, was auch die Patienten motiviert. Außerdem wurde die unterstu?tzende Parodontitistherapie (UPT) zumindest fu?r zwei Jahre in die vertragszahna?rztliche Versorgung eingefu?hrt. Dies ist ein Element, das eine langfristige Stabilita?t des Behandlungsergebnisses erst ermo?glicht. Je nach eingangs festgestelltem Stadium (Staging) und Progressionsrate (Grading A, B, C) können die UPT-Sitzungen ein- bis dreimal jährlich stattfinden. Damit ist die individualisierte Zahnmedizin in der vertragszahna?rztlichen Versorgung angekommen. Präventive und therapeutische Maßnahmen sind in der UPT kombiniert: eine Mundhygienekontrolle und -unterweisung sowie eine Zahnreinigung an den betroffenen Zähnen (gingival und supragingival). Somit werden international anerkannte wissenschaftliche Standards auch in den Details umsetzbar.